Schweiz: Kanton Bern erlaubt die Veröffentlichung eigener Software unter freier Lizenz

Von Nachbarn lernen: Eine neue Verordnung des Schweizer Kantons Bern erlaubt die Bereitstellung von öffentlich finanzierter Software unter freier Lizenz. Zukünftig kann Software, über deren Rechte der Kanton verfügt, unter den Bedingungen einer Open-Source-Lizenz veröffentlicht werden.

Vom Rechtsstreit um OpenJustitia zur Rechtssicherheit: Öffentlich finanzierte Software darf in Bern fortan als offene Software veröffentlicht werden.

Der Regierungsrat des Kantons Bern ermöglicht die Freigabe selbstentwickelter Software als Open-Source-Software und stellt damit sicher, dass öffentlich finanzierte Software auch öffentlich zur Verfügung gestellt wird. Mit einer neu erlassenen „Verordnung über die Informations- und Telekommunikationstechnik der Kantonsverwaltung“ (ICTV) kann das Amt für Informatik und Organisation des Kantons Bern (KAIO) fortan kantonseigene Software unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlichen. Diese Entscheidung des Regierungsrates ist das Ergebnis eines langen Rechtsstreits, in dem sich insbesondere die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit öffentlich für eine Lösung pro Open Source starkgemacht hat.

Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung

2011 hatte das Schweizer Bundesgericht bereits beschlossen, seine Geschäftsverwaltungssoftware OpenJustitia unter einer Freie-Software-Lizenz (GPLv3) zu veröffentlichen, war dafür aber direkt von konkurrierenden IT-Anbietern proprietärer Lösungen angegriffen worden. Vorwurf war, das Bundesgericht würde mit „steuerlich subventionierten Dumpingpreisen“ die private Konkurrenz aus dem Markt drängen. Dieser Querschuss fand auf politischer Ebene jedoch keinen Zuspruch sondern führte 2013 im Berner Kantonsparlament (Grossrat) stattdessen zur Einreichung der überparteilichem Motion „Synergien beim Software-Einsatz im Kanton Bern nutzen“, die mit 130 zu 0 Gegenstimmen angenommen wurde und unter anderem fordert:

2. Eigene Entwicklungen, bei denen der Kanton Bern das Urheberrecht besitzt, sollen wo sinnvoll als Open-Source-Software freigegeben werden, damit andere Behörden die Software einsetzen und die Weiterentwicklungskosten geteilt werden können.
3. Bei jedem neuen Informatikprojekt haben die Verantwortlichen aufzuzeigen, welche Open-Source-Alternativen bei der Beschaffung geprüft wurden. Wenn keine eingeplant ist, muss dies begründet werden.

Weiterhin stand jedoch von Anbietern proprietärer Software der Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung im Raum, indem der Staat als Urheber von Software und dessen „Gratis-Veröffentlichtung“ in den Markt eingreife. Ein Vorwurf, der auch in anderen Jurisdiktionen bereits vorgebracht wurde.

Gutachten und Rechtssicherheit

Zur Klärung gab das KAIO ein Gutachten (pdf) in Auftrag, das 2016 veröffentlicht wurde. Darin wird ausgeführt, dass der Markteintritt eines staatlichen Unternehmens allein noch nicht als faktischer Eingriff in den Markt verstanden werden kann. Vor allem aber kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass sowohl der Einsatz als auch die Entwicklung, Veröffentlichung und Bereitstellung von Open-Source-Software kaum als schwerer Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit zu verstehen sei:

„OSS ist keine marktfähige Gratisleistung, die den privaten Konkurrenten das Wirtschaften verunmöglicht. Denn aus Sicht des Kunden sind nicht nur die Kosten des Codes (die bei OSS naturgemäss wegfallen) relevant, sondern die gesamten Kosten des Softwarebetriebs (inkl. Anpassungen und Integration, Support, Wartung, u.dgl.) und auch andere Wettbewerbsparameter, insbesondere Qualität, Funktionsumfang, Benutzerfreundlichkeit oder Nebendienstleistungen. OSS ist m.a.W. zwar quelloffen, aber nicht kostenlos. Entsprechend bleibt Privaten in der Praxis regelmässig Raum für wirtschaftliche Tätigkeit, und von einer faktischen Verdrängung kann nicht die Rede sein.“

Darauf aufbauend hat der Grossrat des Kantons Bern bereits ein Jahr später den Regierungsrat mit großer Mehrheit beauftragt, ein Open-Source-Software-Portal zu schaffen, in welchem der Kanton und dessen Gemeinden Open-Source-Entwicklungen austauschen können.

Endgültige Rechtssicherheit gibt es jedoch erst jetzt mit der verabschiedeten Verordnung, in welcher verfügt wird, dass das KAIO fortan „im Auftrag der für die Applikation verantwortlichen Behörden Software, über deren Rechte der Kanton verfügt, unter den Bedingungen einer Open-Source-Lizenz veröffentlichen“ kann. Damit kann nun fünf Jahre später die bereits 2013 beschlossene Motion „Synergien beim Software-Einsatz im Kanton Bern nutzen“ verwirklicht werden.

Weil sich im Kanton Bern auch die gleichnamige de-facto-Hauptstadt der Schweiz befindet, ist auf eine Vorbildwirkung dieser neuen Verordnung auch in anderen Kantonen der Schweiz zu hoffen. Erste Software-Projekte werden bereits entsprechend veröffentlicht oder sind in Planung, beispielsweise die Behördenapplikation Ki-Tax, die dabei helfen soll, Betreuungstarife zu berechnen.

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